Mittwoch, 19. August 2020

„Aufpfropfungen“ in den Texten des II. Vaticanum

Im vergangenen Juni ist, ausgelöst vor allem durch Mons. Carlo Maria Viganò, eine Diskussion aufgeflammt, ob es in den Texten des II. Vaticanum Irrtümer gibt. Sandro Magister hat daraufhin Stimmen, die dem entgegentraten, einigen Raum gegeben. Die gewichtigste Antwort kam von Kardinal Walter Brandmüller, der darstellte, wie Konzilsdekrete aus ihrer Zeit heraus zu verstehen sind. Eine zweite gewichtige Antwort kam nun von Pietro De Marco. Er nun erkennt innerhalb des Corpus der Konzilstexte abgrenzbare problematische „Aufpfropfungen“ (innesti), die von verschiedenen Unterkommissionen eingefügt worden seien; das Corpus der Konzilstexte selbst aber steht in der organischen Kontinuität der katholischen Lehre. Er nennt eine Untersuchung über die eigentlichen Aussagen des Konzils dringlich notwendig.

Die alttestamentliche Lesung am letzten Sonntag (ord. Usus) war aus Jesaja. Besonders markant der Vers: «Und die Fremden, die sich dem HERRN anschließen, um ihm zu dienen und den Namen des HERRN zu lieben, um seine Knechte zu sein, alle, die den Sabbat halten und ihn nicht entweihen und die an meinem Bund festhalten.» (56, 6; EÜ)
Diese Schriftstelle weckt die Erinnerung an eine besonders auffällige derartige „Aufpfropfung“ in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum concilium“:
Nach dem Text der Konstitution, aber vor der Korroborationsformel folgt ein „Appendix“, eine „Erklärung über die Überprüfung des Kalenders“. In den sechziger Jahren war der Gedanke an eine Kalenderreform in Mode, die jedem Tag des Jahres einen festen Wochentag zuweist und Ostern einem festen Tag des gregorianischen Kalenders zuweist.
Letzterem erteilt der Appendix seine Einwilligung, wenn nur auch die Brüder, die von der Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl getrennt sind, zustimmen.
Welch eine Vorstellung! Die orthodoxen Kirchen, die für ihre Osterberechnung nicht einmal die astronomischen Gründe der gregorianischen Reform akzeptieren, könnten nun einem Osterfestdatum zustimmen, das nur in der größeren Bequemlichkeit des Kalenderdrucks sowie längerfristiger Verabredungen begründet sind.
Immerhin macht der Appendix den Vorbehalt, daß der Ablauf der siebentägigen Woche unangetastet bleibt, ohne Einschub irgendwelcher Tage außerhalb der Woche – also ohne den „Silvester-“ und (im Schaltjahr) den „Johannistag“, welche jenes Projekts der Kalenderreform erfordert. Doch dann folgt: «wenn nicht schwerstwiegende Gründe hinzutreten, über die der Apostolische Stuhl das Urteil abzugeben hat.»
Was in den Zehn Geboten erscheint, was laut Jesaja für den Glauben der Juden, aber darüber hinaus auch für «die Fremden, die sich dem HERRN anschließen», im Mittelpunkt steht, was seit alttestamentlicher Zeit bewahrt wurde, der unveränderliche Ablauf der siebentägigen Woche, könnte nun plötzlich aus irgendwelchen «schwerstwiegenden Gründen» aufgegeben werden.
Haben die Konzilsväter, als sie diese Konstitution unterschrieben haben, diesen Appendix, der in der Edition der Konstitution zwischen deren Text und die Formel, die den Unterschriften vorangeht, eingeschoben ist, schon gesehen? Falls es so sein sollte, mögen sie ihn als bedeutungslos betrachtet haben, denn er setzt ja die Zustimmung der Ostkirchen voraus, die völlig ausgeschlossen ist.